Traumata mit Hilfe von Kunst verarbeiten

Kunstmeile Trostberg Schülerprojekt Afghanen1
Gufran Khan und Bargami Shokrullah mit ihrer Mentorin Christine Scholz.

Flüchtlinge malen für die Kunstmeile

Text und Fotos von Christine Limmer

Konzentriert sitzt Gufran Khan am Tisch, vor sich ein Blatt Papier. Blauer Himmel, Sonnenschein, grünes Gras und bunte Blumen sind darauf zu sehen. Ein Pappteller dient als Farbpalette. Mit dem Pinsel tupft er genau und mit Liebe zum Detail im Dot-Painting, wie es die australischen Aborigines gemacht haben, die Farbe auf das Papier. Doch die dargestellte Bank auf dem Papier bleibt leer, der Weg endet kurz vor der Bank. In den gerade aufgeblühten Blumen sind die Buchstaben K und S geschrieben, dazwischen ein Herz.

Gufran Khan ist einer der afghanischen Flüchtlinge, die in Wäschhausen wohnen. Wie so viele andere Asylbewerber hat er die Erlebnisse einer unglaublichen Geschichte von Flucht, Vertreibung, Gewalt, Misshandlung und Trennung mit im Gepäck. Mit seinen erst 18 Jahren hat er seiner Heimat den Rücken gekehrt, wohl wissend, dass er nicht mehr zurückkehren kann. Seine Familie konnte sich aus Dschalalabad ins benachbarte Pakistan zu einem Onkel, dem Bruder seiner Mutter retten. Doch nicht alle – Gufrans Vater Ehsan wurde mit nur 45 Jahren erschossen. Auch seine Freundin Sumara, mit der er vier Jahre lang „gegangen“ ist, wurde vor zwei Jahren ebenfalls ermordet – von den Taliban, wie Gufran berichtet. In Dschalalabad hatte die Familie ein großes Stadthaus und ein kleineres Sommerhaus etwas außerhalb der Stadt. Dort gibt es auch den Blumengarten, den er zeichnet, und er blickt dabei wehmütig aus dem Fenster. Gufran ist der Älteste der sechs Geschwister. Seine Schwestern sind 15, 13 und drei Jahre, die Brüder zehn und sieben Jahre. Sie leben jetzt im pakistanischen Peshawar, auf der anderen Seite des Chaiber-Passes, einer Grenzregion, die Afghanistan mit Pakistan verbindet.

Die Familie Khan betrieb in Afghanistan eine Goldschmiedewerkstatt im langjährigen Familienbetrieb. Auch Gufran arbeitete dort schon, seit er acht Jahre alt war. Auf seinem Handy zeigt er Bilder von fein gearbeitetem Halsschmuck, Ohrringen, Ringen und Broschen. Schmuckstücke und Entwürfe, die es nun nicht mehr gibt. „Alles bei Taliban“ erzählt er traurig. Er selbst hat Glück gehabt. Die Wunde an seinem Oberschenkel ist längst verheilt – es war die Taliban-Miliz, die ihm das Bein durchschossen hat. Im Herbst des vergangenen Jahres hat er sich auf den Weg gemacht. Zu Fuß ist er durch den Iran, über die Türkei, Griechenland und weitere europäische Länder bis ins Camp nach München gelangt, erzählt er auf Deutsch, das er seit Anfang Januar lernt.  Viel will er über die Flucht nicht erzählen, man spürt die Angst noch, auch wenn Gufran sich beim Gespräch ein Lächeln abringt. 11.000 US-Dollar hat er den Schleppern bezahlt, die ihn nach Deutschland bringen sollten. Nur so viel: Im Zug und im Auto, auf engstem Raum zusammengepfercht hat er weitere Strecken zurückgelegt, in der Dunkelheit durch den Wald, Schmiergelder in erheblichem Maße für Essen. Schläge und Misshandlungen hat er erlebt, auf die er nicht näher eingeht. Täglich eine neue Gruppe, mit der er unterwegs ist, täglich neue Schlepper, täglich die Angst, das Ziel nicht zu erreichen, entdeckt zu werden – unerträgliche Stunden, Tage und Wochen. Selbst das Handy wurde ihm abgenommen. 40 Dollar musste er dem Schleuser bezahlen, um der Mutter kurz Bescheid geben zu können, dass er noch lebt, so die Erzählungen des 18-Jährigen. Nach eineinhalb Monaten ist er in einem kleineren Camp in München angekommen und dort registriert worden. Im vergangenen Dezember war einer der ersten, die ins Haus in Wäschhausen eingezogen sind.

Die äußerlichen Wunden sind verheilt, die seelischen noch lange nicht. Gufran lenkt sich ab, wo es nur geht. Er hilft in der Küche, ist beim Sport mit dabei, geht an der Alz spazieren, besucht das Schwimmbad, ist ein ehrgeiziger Deutschschüler und oft mit dem Radl in Trostberg zu sehen. Um ihm zu helfen, das Geschehene zu verarbeiten, hat die Musikschule eine Trommel zur Verfügung gestellt. Damit kann er sich den Frust von der Seele trommeln. Seine große musikalische Begabung und sein Rhythmusgefühl zeigt er auch im Trostberg Chor Kaliedoskop.

Christine Scholz, ehemalige Grundschullehrerin in Trostberg und Dozentin an der Volkshochschule, gibt dem jungen Mann seit einiger Zeit die Möglichkeit, sein Trauma mit Malen zu verarbeiten. Sein erstes Bild zeigt ein blutendes Herz, der Buchstabe „S“ in der Mitte mit einem Pfeil durchschossen. „Love is life“ hat er darauf geschrieben. Den Anfangsbuchstaben seiner großen Liebe hat er auch in die Innenseite seines linken Unterarmes geätzt. Sein Herz blutet noch immer, wenn er an Sumara denkt, sagt Gufran.

Bargami Shokrullah, ein 22-jähriger Afghane hat Gufran das erste Mal zu Christine Scholz begleitet. Auch er versucht seine Erlebnisse zu verarbeiten. Dass er dabei zum ersten Mal einen Pinsel in die Hand nimmt, ist nebensächlich. Sein Bild ist blau. Blau für den Himmel in Afghanistan, für die Provinz Kunar und den Ort Sarkani, in dem er gewohnt hat. Auf seinem Bild geht über den Bergen des Hindukusch der Mond auf. Doch zugleich leuchtet das Gesicht seiner seiner 15 Monate alten Tochter Yagya wie eine Sonne entgegen. „I’m alone, without you, please come home“, so spricht sie zu ihrem Vater, der tausende Kilometer entfernt in Wäschhausen sitzt. Vor zweieinhalb Jahren hat er geheiratet, für die Amerikaner war er als Dolmetscher tätig. Er spricht Englisch, Patschu, Dari, Farsi und weitere Sprachen des Ostens. In dem kleinen Dorf hat er zudem als eine Art Sozialarbeiter vor allem Jugendlichen geholfen und ihnen Sprachunterricht erteilt. Dies war für die Taliban Grund genug, ihn mit Drohbriefen unter Druck zu setzen. Als die psychische Bedrohung wegen der Drohbriefe immer eindeutiger wurde und auch vor seinen acht Schwestern, die älter und jünger sind  als er selbst, den Eltern und seiner kleinen Familie nicht Halt machte, ist er geflohen. Viel Geld hat er bezahlt, um seine Familie zu schützen. Ein Schutz, der fraglich ist, denn die Taliban sind weiterhin in der Gegend aktiv. Die weitere Geschichte der Flucht ähnelt der Gufrans. Über abenteuerliche Wege und viel Geld für Schlepper ist er ebenfalls nach Deutschland gekommen und wohnt seit diesem Jahr in Wäschhausen. Einen Onkel, Aligul Paiwand,  hat Bargami noch in Deutschland. Ein alter Mann, über 90 Jahre alt, berichtet der 22-Jährige, der sich als afghanischer Lyriker und Poet einen Namen gemacht hat. Doch wo er lebt, weiß er nicht, so dass bisher kein Kontakt möglich war.

Gufran hat regelmäßig Kontakt zu Mutter und Geschwistern. Inzwischen ist auch schon Post eingetroffen, die einen Salwar Kameez, die traditionelle weiße Hose mit langem Hemd der Afghanen enthielt. Dagegen kann Bargami nur selten mit der Familie zu Hause sprechen. Zu schwierig ist die Verbindung in das abgelegene Dorf.
Christine Scholz selbst ist erst spät zur Malerei gekommen. Sie hat zwar schon immer gern gemalt, doch erst in den letzten Jahren selbst Malkurse unter anderem in Andechs besucht. Derzeit gibt sie vier Kurse an der Volkshochschule Trostberg, die sich mit Acrylmalerei beschäftigen. Sie möchte den beiden Männern Mut machen. In ihrem Wohnzimmer, das einmal die Woche zum Atelier umfunktioniert wird, können sie mit Farbe das Erlebte sichtbar machen, um zu verarbeiten, was sie in den letzten Monaten mitgemacht haben. Dabei geht sie behutsam vor. Sie drängt nicht zu erzählen. Irgendwann sprechen sie schon – wenn sie wollen, berichtet die Lehrerin. Doch ist nicht immer die Verarbeitung von Problemen das Ziel, sondern vor allem der Spaß an der künstlerischen Betätigung.

Dass ihre Bilder im Rahmen der Kunstmeile im Foyer der Mittelschule ausgestellt werden, darüber freuen sich Gufran und Bargami riesig. Mit einem Passepartout und Rahmen ins richtige Licht gesetzt, werden die Kunstwerke von 11. bis 28. Juni, von Montag bis Freitag von 15 bis 18 Uhr und am Wochenende von 10 bis 18 Uhr präsentiert.

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